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Auf den Spuren Goethes in Sizilien

 

Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem. (Goethe, Italienische Reise)

 

 Goethe weilte vom 2. April bis 10. Mai 1787 auf Sizilien. Die Reise unserer Gruppe 218 Jahre später fand etwa zur gleichen Jahreszeit statt, war mit dem 23. April bis 1. Mai 2005 aber deutlich kürzer, allerdings sahen wir wegen der besseren Transportmöglichkeiten wesentlich mehr antike Trümmer als Er. Einige wie etwa die Mosaiken in der Villa Casale bei Piazza Armerina hätte Goethe damals noch gar nicht bewundern können; den vorgesehenen Besuch Syrakus' versagte Er sich wegen des schlechten Wetters und tröstete sich mit dem Argument, doch lieber zu erkunden, wie Ceres dieses Land so vorzüglich begünstigt haben sollte. Als ich mich darnach erkundigte, erwiderte man mir, daß ich, um dieses einzusehen, statt über Syrakus, quer durchs Land gehen müsse, wo ich denn der Weizenstriche genug antreffen würde. Wir folgten dieser Lockung, Syrakus aufzugeben, indem uns nicht unbekannt war, daß von dieser herrlichen Stadt wenig mehr als der prächtige Name geblieben sei. Unserem Nationaldichter waren diese Trauben einfach zu sauer!

 

 

 Das sizilianische Wappen

 

 

Dafür war Goethe in anderer Hinsicht begünstigt. Der Bestsellerautor des Werther wurde überall auf Sizilien von den hohen Herrschaften empfangen. Dadurch sah er dann Dinge, deren Ansicht Reisegruppen des 21. Jahrhunderts versagt ist.

 

Unsere Gruppe reiste so gut es ging auf Goethes Spuren. Meinem folgenden Bericht möchte ich hier einen Satz aus der Italienischen Reise vorausschicken, denn ich entwickelte das gleiche Gefühl wie Er. Deshalb: Ich finde es angenehm sowie pflichtmäßig, das Andenken eines Vorgängers zu feiern. Bin ich doch nur ein Vorfahr von künftigen andern, im Leben wie auf der Reise!

 

Palermo, Dienstag, den 3. April 1787 bzw. Samstag, den 23. April 2005:

 

Goethe hatte ein beschwerliche Anreise auf einem Schiff von Neapel aus. Wir landeten bequem außerhalb Palermos auf dem Falcone-Borsellino-Aeroporto und nach dem Transfer zu unserem Hotel hatten wir das gleiche Anliegen wie Er:

 

Unser erstes war, die Stadt näher zu betrachten, die sehr leicht zu überschauen und schwer zu kennen ist, leicht, weil eine meilenlange Straße vom untern zum obern Tor (Cassaro, heute Corso Vittorio Emanuele), vom Meere bis gegen das Gebirg' sie durchschneidet und diese ungefähr in der Mitte von einer andern (Via Nuova, heute Via Maqueda) abermals durchschnitten wird: was auf diesen Linien liegt, ist bequem zu finden; das Innere der Stadt hingegen verwirrt den Fremden, und er entwirrt sich nur mit Hülfe eines Führers in diesem Labyrinthe.

 

 

Der Schnittpunkt der beiden oben erwähnten Straßen heißt
Quattro Canti

In einer der Ecken der Quattro Canti steht Karl V.
als römischer Kaiser

 

Während unserer Erkundungen war der Feinstaub in den zum Teil recht engen Straßen deutlich zu spüren, doch schon vor mehr als 200 Jahren machte Goethe in Palermo, ganz Naturwissenschaftler, Beobachtungen dazu:

 

Als ich vor dem Laden (in der Cassaro) stand, die Ware zu besehen, erhob sich ein geringer Luftstoß, welcher, längs der Straße herwirbelnd, einen unendlichen erregten Staub in alle Buden und Fenster sogleich verteilte.  "Bei allen Heiligen! sagt mir", rief ich aus, "woher kommt die Unreinlichkeit eurer Stadt, und ist derselben denn nicht abzuhelfen?"   "Es ist bei uns nun einmal, wie es ist", versetzte der Mann; "was wir aus dem Hause werfen, verfault gleich vor der Türe übereinander.  Ihr seht hier Schichten von Stroh und Rohr, von Küchenabgängen und allerlei Unrat, das trocknet zusammen auf und kehrt als Staub zu uns zurück. "

 

 

Palermo, Sonntag den 8. April 1787 bzw. Sonntag den 24. April 2005:

 

Nachdem ich (wir) den Morgen zugebracht, die verschiedenen Kirchen zu besuchen und die Volksgesichter und Gestalten zu betrachten, fuhr(en wir) ich zum Palast des Vizekönigs, welcher am obern Ende der Stadt liegt.

 

Unsere Gruppe besichtigte in diesem Normannenpalast die königliche Kapelle, die Capella Palatina. Wir standen in einer Schlange, da wir, zu früh gekommen, erst noch das Ende einer Messe abwarten mussten.

 

Staufischer Adler im Normannenpalast und

Wappen Karls V. mit dem Reichsadler und den spanischen Farben

Christus als Pancreator in der Capella Palatina Jesus als Lehrer mit Petrus und Paulus

 

Goethe kam damals ebenfalls zu früh zum Palast:

 

Weil ich etwas zu früh gekommen, fand ich die großen Säle noch leer, nur ein kleiner, munterer Mann ging auf mich zu, den ich sogleich für einen Malteser erkannte. Als er vernahm, daß ich ein Deutscher sei, fragte er, ob ich ihm Nachricht von Erfurt zu geben wisse, er habe daselbst einige Zeit sehr angenehm zugebracht ...  Mit bedenklichem Anteil erkundigte er sich nach Weimar.  "Wie steht es denn", sagte er, "mit dem Manne, der, zu meiner Zeit jung und lebhaft, daselbst Regen und schönes Wetter machte?  Ich habe seinen Namen vergessen, genug aber, es ist der Verfasser des Werthers'."

 

Was Humor betrifft, so teilt Goethe das Schicksal mit vielen anderen deutschen Genies. Der seinige ist nicht gerade subtil und erinnert an Szenen in Karl May, wenn Old Shatterhand sich zu erkennen gibt:

 

Nach einer kleinen Pause, als wenn ich mich bedächte, erwiderte ich: "Die Person, nach der Ihr Euch gefällig erkundigt, bin ich selbst! "-- Mit dem sichtbarsten Zeichen des Erstaunens (Uff!) fuhr er zurück und rief aus: Da muß sich viel verändert haben!" -- "O ja!" versetzte ich, "zwischen Weimar und Palermo hab' ich manche Veränderung gehabt."

 

In dem Augenblick trat mit seinem Gefolge der Vizekönig herein und betrug sich mit anständiger Freimütigkeit, wie es einem solchen Herrn geziemt.  Er enthielt sich jedoch nicht des Lächelns über den Malteser, welcher seine Verwunderung, mich hier zu sehen, auszudrücken fortfuhr. Bei Tafel sprach der Vizekönig, neben dem ich saß, über die Absicht meiner Reise und versicherte, daß er Befehl geben wolle, mich in Palermo alles sehen zu lassen und mich auf meinem Wege durch Sizilien auf alle Weise zu fördern.

 

 

Palermo, Dienstag, den 10. April 1787 bzw. Sonntag den 24. April 2005:

 

Heute fuhren wir bergauf nach Monreale.  Ein herrlicher Weg, welchen der Abt jenes Klosters zur Zeit eines überschwenglichen Reichtums angelegt hat; breit, bequemen Anstiegs, Bäume hie und da, besonders aber weitläufige Spring- und Röhrenbrunnen, beinah pallagonisch* verschnörkelt und verziert desungeachtet aber Tiere und Menschen erquickend.

 

*Heute (d. h. gestern, Montag, den 9. April 1787) den ganzen Tag beschäftigte uns der Unsinn des Prinzen Pallagonia, über dessen Geschmacksverirrungen Goethe sich in seiner Italienischen Reise voller Entrüstung seitenweise auslässt.

 

Übrigens haben wir die von Goethe erwähnten Brunnen auf unserer Busfahrt nach Monreale nicht gesehen. Dafür wurden wir aber mit den Mosaiken im Dom mehr als getröstet. Vor allem die Illustrationen zu den Geschichten des Alten Testaments überzeugen in ihrer Dramatik. Der Kreuzgang des ehemaligen Klosters überrascht mit seinen geschmückten Säulen und seinem überreichen Figurenschmuck.

 

Gott erschafft Eva

Kain erschlägt seinen Bruder Abel

Der Turmbau zu Babel

Jakob und die Himmelsleiter

Turm der Kathedrale von Monreale

König Wilhelm stiftet der Mutter Gottes die Kathedrale

Kreuzgang mit maurischem Brunnen

Geschmückte Säulen, reiche Kapitelle

Die Apostel von Engeln geführt streben zu ihrem Meister

Königin Helena findet das Kreuz

 

 

Palermo, Mittwoch, den 11. April 1787 bzw. Sonntag, den 24. April 2005:

 

Nachdem wir nun zwei Hauptpunkte außerhalb der Stadt betrachtet, begaben wir uns in den Palast, wo der geschäftige Laufer die Zimmer und ihren Inhalt vorzeigte. Zu unserm großen Schrecken war der Saal, worin die Antiken sonst aufgestellt sind, eben in der größten Unordnung, weil man eine neue architektonische Dekoration im Werke hatte. Die Statuen waren von ihren Stellen weggenommen, mit Tüchern verhängt, mit Gerüsten verstellt, so daß wir trotz allem guten Willen unseres Führers und einiger Bemühung der Handwerksleute doch nur einen sehr unvollständigen Begriff davon erwerben konnten.

 

Die Ausstellung, von der Goethe schreibt, befindet sich heute in Archäologischen Museum, welches gerade um die Mittagszeit schloss, als unsere Reisegruppe eintraf. Doch es ging uns besser als Goethe, denn als die Wärter hörten, dass wir tedeschi seien, öffnete uns der Nimbus des frischgekürten deutschen Papstes Benedetto alle Türen. So konnten wir exotische Pflanzen, phönizische Sarkophage und die Metopen von Selinunt ungestört während der Mittagspause bewundern.

 

Bananenstaude im Hof des Museums

Phönizischer Sarkophag

Europa auf dem Stier

Eteon wird von den Hunden der Artemis zerfleischt

 

Die Episode, in der Goethe die Familie des wegen der Halsbandaffäre in Frankreich einsitzenden Joseph Balsamo alias Graf Cagliostro vor seiner Abreise aus Palermo besucht, unterstreicht nur einmal mehr des Dichters eigentümlichen Humor. Es führt hier zu weit, sein sensationshungriges und letztlich, wie er selbst findet, schäbiges Betragen zu beschreiben; es lohnt sich diese unrühmliche Geschichte in Goethes Originaltext nachzulesen.

 

Auf unserer Reise war uns der Wettergott gewogen, während Goethes Reisegesellschaft zu leiden hatte:

Vom Klima kann man nicht Gutes genug sagen; jetzt ist's Regenzeit, aber immer unterbrochen; heute donnert und blitzt es, und alles wird mit Macht grün.  Der Lein hat schon zum Teil Knoten gewonnen, der andere Teil blüht.  Man glaubt in den Gründen kleine Teiche zu sehen, so schön blaugrün liegen die Leinfelder unten.  Der reizenden Gegenstände sind unzählige!

 

Das Essen dagegen lobte Goethe fast ohne Einschränkung:

Vom Essen und Trinken hierzuland hab' ich noch nichts gesagt, und doch ist es kein kleiner Artikel.  Die Gartenfrüchte sind herrlich, besonders der Salat von Zartheit und Geschmack wie eine Milch; man begreift, warum ihn die Alten Lactuca genannt haben*.  Das Öl, der Wein alles sehr gut, und sie könnten noch besser sein, wenn man auf ihre Bereitung mehr Sorgfalt verwendete.  Fische die besten, zartesten.

*Unserer Gruppe mundeten besonders die am Strauch gereiften, erntefrischen Tomaten.

 

 

Segesta, Freitag, den 20. April 1787 bzw. Montag den 25. April 2005:

 

Der Tempel von Segesta ist nie fertig geworden, und man hat den Platz um denselben nie verglichen, man ebnete nur den Umkreis, worauf die Säulen gegründet werden sollten; denn noch jetzt stehen die Stufen an manchen Orten neun bis zehn Fuß in der Erde, und es ist kein Hügel in der Nähe, von dem Steine und Erdreich hätten herunterkommen können. Auch liegen die Steine in ihrer meist natürlichen Lage, und man findet keine Trümmer darunter. Die Säulen stehen alle; zwei, die umgefallen waren, sind neuerdings wiederhergestellt.  Inwiefern die Säulen Sockel haben sollten, ist  schwer zu bestimmen und ohne Zeichnung nicht deutlich zu machen.  Bald sieht es aus, als wenn die Säule auf der vierten Stufe stände, da muß man aber wieder eine Stufe zum Innern des Tempels hinab, bald ist die oberste Stufe durchschnitten, dann sieht es aus, als wenn die Säulen Basen hätten, bald sind diese Zwischenräume wieder ausgefüllt, und da haben wir wieder den ersten Fall.  Der Architekt mag dies genauer bestimmen. Die Nebenseiten haben zwölf Säulen ohne die Ecksäulen, die vordere und  hintere Seite sechs mit den Ecksäulen.  Die Zapfen, an denen man die Steine transportiert, sind an den Stufen des Tempels ringsum nicht weggehauen, zum Beweis, daß der Tempel nicht fertig geworden. Am meisten zeugt davon aber der Fußboden: derselbe ist von den Seiten herein an einigen Orten durch Platten angegeben, in der Mitte steht noch der rohe Kalkfels höher als das Niveau des angelegten Bodens; er kann also nie geplattet gewesen sein. Auch ist keine Spur von innerer Halle. Noch weniger ist der Tempel mit Stuck* überzogen gewesen, daß es aber die Absicht war, läßt sich vermuten: an den Platten der Kapitäle sind Vorsprünge, wo sich vielleicht der Stuck anschließen sollte. Das Ganze ist aus einem travertinähnlichen Kalkstein gebaut, jetzt sehr verfressen. Die Restauration von 1781 hat dem Gebäude sehr wohl getan. Der Steinschnitt, der die Teile zusammenfügt, ist einfach, aber schön. Die großen besonderen Steine, deren Riedesel erwähnt (Den Reiseführer Sizilien von Riedesel führte Goethe mit sich und lobt seinen Inhalt mehrmals), konnt' ich nicht finden, sie sind vielleicht zu Restauration der Säulen verbraucht worden. Die Lage des Tempels ist sonderbar: am höchsten Ende eines weiten, langen Tales, auf einem isolierten Hügel, aber doch noch von Klippen umgeben, sieht er über viel Land in eine weite Ferne, aber nur ein Eckchen Meer.

*Überreste der Tempel von Selinunt (siehe unten) zeigen diesen antiken Überzug.

 

Die Gegend ruht in trauriger Fruchtbarkeit, alles bebaut und fast nirgends eine Wohnung. Auf blühenden Disteln schwärmten unzählige Schmetterlinge. Wilder Fenchel stand acht bis neun Fuß hoch verdorret von vorigem Jahr her so reichlich und in scheinbarer Ordnung, daß man es für die Anlage einer Baumschule hätte halten können. Der Wind sauste in den Säulen wie in einem Walde, und Raubvögel schwebten schreiend über dem Gebälke. Die Mühseligkeit, in den unscheinbaren Trümmern eines Theaters herumzusteigen, benahm uns die Lust, die Trümmer der Stadt zu besuchen.

 

 

Unsere Reisegruppe dagegen stieg zum griechischen Theater auf dem Monte Barbaro empor, wurde mit scharfem Wind begrüßt und dafür mit einem herrlichen Blick und bei einer Lesung unserer Reiseleiterin mit einer ausgezeichneten Akustik belohnt:

 

 

 

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Auf dem Weingut der altehrwürdigen Familie Hopps probierten wir dann den Marsalawein, der in seiner Süße den Portwein noch übertrifft. Beim Besuch der Winzerei fiel mir als Firmenemblem ein Adler auf, der eine verdammte Ähnlichkeit mit einem bei uns längst verblichenen Vogel aufwies. Sollte die Familie sich im Abfall des 3. Reiches bedient haben? Mitnichten, die Firma Hopps wurde bereits um die Wende des vorletzten Jahrhunderts gegründet. Doch regte diese Entdeckung zum Forschen nach weiteren Adlervögeln an

 

 

Glücklicher Adler im Hof des archäologischen Museums

Reichsdoppeladler zu Füßen Karls V. in Palermo

 

Cusa und Selinunt, Dienstag, den 26. April 2005:

 

Goethe kam weder nach Cusa noch nach Selinunt, doch wir besichtigten die Steinbrüche von Cusa, aus denen einst Sklaven die Säulentrommeln für die Tempel von Selinunt herausmeißelten.

 

Von oben nach unten: Herausmeißelte Säulentrommel

Ein Sklave bei der Feinarbeit an einer Säulentrommel

 

Zu den beeindruckenden Tempelreste von Selinunt passt ein Text Goethes aus der Beschreibung von Agrigent. Was dort nicht mehr zu besichtigen war, in Selinunt machten wir die Beobachtung: 

Die zwei Säulenreihen, die den Tempel hüben und drüben begleiteten, lagen in gleicher Richtung wie auf einmal zusammen hingelegt, von Norden nach Süden; jene einen Hügel hinaufwärts, diese hinabwärts. Der Hügel mochte aus der zerfallenen Zelle entstanden sein. Die Säulen, wahrscheinlich durch das Gebälk zusammengehalten, stürzten auf einmal, vielleicht durch Sturmwut niedergestreckt, und sie liegen noch regelmäßig, in die Stücke, aus denen sie zusammengesetzt waren, zerfallen.

 

Aber die Erbauer, hoffend auf eine ähnliche Nachkommenschaft, hatten deshalb Vorkehrung getroffen: man findet noch Überreste eines feinen Tünchs an den Säulen, der zugleich dem Auge schmeicheln und die Dauer verbergen sollte.

 

Es war wohl kein Sturm, sondern ein Erdbeben

Verfeinerung der Oberflächenstruktur

 

 

Girgenti, Montag, den 23. April 1787 bzw. Agrigent*, Mittwoch den 26. April 2005:

 

Wir bezogen hier ein gutes Hotel, doch Goethe schreibt: Da es hier keine Gasthöfe gibt, so hatte uns eine freundliche Familie Platz gemacht und einen erhöhten Alkoven an einem großen Zimmer eingeräumt. Ein grüner Vorhang trennte uns und unser Gepäck von den Hausgliedern, welche in dem großen Zimmer Nudeln fabrizierten, und zwar von der feinsten, weitesten und kleinsten Sorte, davon diejenigen am teuersten bezahlt werden, die, nachdem sie erst in die Gestalt von gliedslangen Stiften gebracht sind, noch von spitzen Mädchenfingern einmal in sich selbst gedreht, eine schneckenhafte Gestalt annehmen.

 

Handgedrehte Nudeln

 

Wir setzten uns zu den hübschen Kindern, ließen uns die Behandlung erklären und vernahmen, daß sie aus dem besten und schwersten Weizen, Grano forte genannt, fabriziert würden. Dabei kommt viel mehr Handarbeit als Maschinen- und Formwesen vor. Und so hatten sie uns denn auch das trefflichste Nudelgericht bereitet, bedauerten jedoch, daß grade von der allervollkommensten Sorte, die außer Girgent, ja, außer ihrem Hause nicht gefertigt werden könnte, nicht einmal ein Gericht vorrätig sei. An Weiße und Zartheit schienen diese ihresgleichen nicht zu haben.

*Unter Mussolini wurden die bis dahin üblichen Namen der Lokalitäten auf Sizilien wieder latinisiert: Aus Girgenti wurde Agrigent(um).

 

 

Girgenti, Dienstag, den 24. April 1787 bzw. Agrigent, Mittwoch den 27. April 2005:

 

So ein herrlicher Frühlingsblick wie der heutige bei aufgehender Sonne ward uns freilich nie durchs ganze Leben. Auf dem hohen, uralten Burgraume liegt das neue Girgenti, in einem Umfang, groß genug, um Einwohner zu fassen. Aus unsern Fenstern erblicken wir den weiten und breitensanften Abhang der ehemaligen Stadt, ganz von Gärten und Weinbergen bedeckt, unter deren Grün man kaum eine Spur ehemaliger großer bevölkerten Stadtquartiere vermuten dürfte. Nur gegen das mittägige Ende dieser grünenden und blühenden Fläche sieht man den Tempel der Konkordia hervorragen, in Osten die wenigen Trümmer des Junotempels; die übrigen, mit den genannten in grader Linie gelegenen Trümmer anderer heiliger Gebäude bemerkt das Auge nicht von oben, sondern eilt weiter südwärts nach der Strandfläche, die sich noch eine halbe Stunde bis gegen das Meer erstreckt .

 

... sodann zum Kunstgenuß in die Hauptkirche. Diese enthält einen wohlerhaltenen Sarkophag, zum Altar gerettet: Hippolyt mit seinen Jagdgesellen und Pferden wird von der Amme Phädras aufgehalten, die ihm ein Täfelchen zustellen will. Hier war die Hauptabsicht, schöne Jünglinge darzustellen, deswegen auch die Alte, ganz klein und zwergenhaft, als ein Nebenwerk, das nicht stören soll, dazwischen gebildet ist. Mich dünkt, von halberhabener Arbeit nichts Herrlicheres gesehen zu haben, zugleich vollkommen erhalten. Es soll mir einstweilen als ein Beispiel der anmutigsten Zeit griechischer Kunst* gelten.

*Hier irrt Goethe, denn der Phädra-Sarkophag ist aus römischer Zeit. Er ist z.Zt. in S. Nicola ausgelagert

 

 

 

Detail am Fuße des Phädra-Sarkophags

 

In dem weiten Raume zwischen den Mauern und dem Meere finden sich noch die Reste eines kleinen Tempels, als christliche Kapelle erhalten. Auch hier sind Halbsäulen mit den Quaderstücken der Mauer aufs schönste verbunden, und beides, ineinander gearbeitet, höchst erfreulich dem Auge. Man glaubt genau den Punkt zu fühlen, wo die dorische Ordnung ihr vollendetes Maß erhalten hat.

Säulen des Junotempels

 

Girgenti, Mittwoch, den 25. April 1787 bzw. Agrigent, Mittwoch den 27. April 2005:

 

Mit Sonnenaufgang wandelten wir nun hinunter, wo sich bei jedem Schritt die Umgebung malerischer anließ. Mit dem Bewußtsein, daß es zu unserm Besten gereiche, führte uns der kleine Mann (hier unsere Reiseführerin) unaufhaltsam quer durch die reiche Vegetation an tausend Einzelheiten vorüber, wovon jede das Lokal zu idyllischen Szenen darbot. Hierzu trägt die Ungleichheit des Bodens gar vieles bei, der sich wellenförmig über verborgene Ruinen hinbewegt, die um so eher mit fruchtbarer Erde überdeckt werden konnten, als die vormaligen Gebäude aus einem leichten Muscheltuff bestanden. Und so gelangten wir an das östliche Ende der Stadt, wo die Trümmer des Junotempels jährlich mehr verfallen, weil eben der lockre Stein von Luft und Witterung aufgezehrt wird. Heute sollte nur eine kursorische Beschauung angestellt werden, aber schon wählte sich Kniep* die Punkte, von welchen aus er morgen zeichnen wollte.

*Ein junger Maler aus Rom, den Goethe als Begleiter und „Kamera“ auf die Reise mitgenommen hatte.

 

Der Tempel steht gegenwärtig auf einem verwitterten Felsen; von hier aus erstreckten sich die Stadtmauern gerade ostwärts auf einem Kalklager hin, welches senkrecht über dem flachen Strande, den das Meer früher und später, nachdem es diese Felsen gebildet und ihren Fuß bespült, verlassen hatte.

Concordiatempel

Modell des gewaltigen Jupitertempels 

Teils aus den Felsen gehauen, teils aus denselben erbaut waren die Mauern, hinter welchen die Reihe der Tempel hervorragte. Kein Wunder also, daß der untere, der aufsteigende und der höchste Teil von Girgenti zusammen von dem Meere her einen bedeutenden Anblick gewährte.

 

 

Der Tempel der Konkordia hat so vielen Jahrhunderten widerstanden; seine schlanke Baukunst nähert ihn schon unserm Maßstabe des Schönen und Gefälligen, er verhält sich zu denen von Pästum wie Göttergestalt zum Riesenbilde...

 

 

 

 

 

 

 

Die nächste Station ward sodann bei den Ruinen des Jupitertempels gehalten. Dieser liegt weit gestreckt, wie die Knochenmasse eines Riesengerippes ...

 

Alles Gebildete ist aus diesen Schutthaufen verschwunden außer einem ungeheueren Triglyph und einem Stück einer demselben proportionierten Halbsäule. Jenen maß ich mit ausgespannten Armen und konnte ihn nicht erklaftern, von der Kannelierung der Säule hingegen kann dies einen Begriff geben, daß ich, darin stehend, dieselbe als eine kleine Nische ausfüllte, mit beiden Schultern anstoßend. Zweiundzwanzig Männer, im Kreise nebeneinander gestellt, würden ungefähr die Peripherie einer solchen Säule bilden...

 

 

 

 

 

 

Als ich erwachte, war Kniep schon bereit, mit einem Knaben, der ihm den Weg zeigen und die Pappen tragen sollte, seine zeichnerische Reise anzutreten. Ich genoß des herrlichsten Morgens am Fenster ...

 

 

 

... wohingegen wir von unseren Hotelbalkon aus einen herrlichen Sonnenuntergang genießen durften.

 

 

Was Transport, Beherbergung und Verpflegung betrifft, so befand sich Goethe in einer misslicheren Lage als der Reisende des 21. Jahrhunderts. Auf dem Wege nach Enna machte er in Caltanisetta Station:

Die Maultiere stehen in prächtig gewölbten Ställen, die Knechte schlafen auf dem Klee, der den Tieren bestimmt ist, der Fremde aber muß seine Haushaltung von vorn anfangen. Ein allenfalls zu beziehendes Zimmer muß erst gereinigt werden. Stühle und Bänke gibt es nicht, man sitzt auf niedrigen Böcken von starkem Holz, Tische sind auch nicht zu finden. Will man jene Böcke in Bettfüße verwandeln, so geht man zum Tischler und borgt so viel Bretter, als nötig sind, gegen eine gewisse Miete. Der große Juchtensack, den uns Hackert (Freund und Maler in Rom) geliehen, kam diesmal sehr zugute und ward vorläufig mit Häckerling angefüllt. Vor allem aber mußte wegen des Essens Anstalt getroffen werden. Wir hatten unterwegs eine Henne gekauft, der Vetturin (Reiseführer) war gegangen, Reis, Salz und Spezereien anzuschaffen, weil er aber nie hier gewesen, so blieb lange unerörtert, wo denn eigentlich gekocht werden sollte, wozu in der Herberge selbst keine Gelegenheit war.

 

Endlich bequemte sich ein ältlicher Bürger, Herd und Holz, Küchen- und Tischgeräte gegen ein billiges herzugeben und uns, indessen gekocht würde, in der Stadt herumzuführen, endlich auf den Markt, wo die angesehensten Einwohner nach antiker Weise umhersaßen, sich unterhielten und von uns unterhalten sein wollten.

 

Wir mußten von Friederich dem Zweiten erzählen, und ihre Teilnahme an diesem großen Könige war so lebhaft, daß wir seinen Tod verhehlten, um nicht durch eine so unselige Nachricht unsern Wirten verhaßt zu werden.

 

 

Enna, Montag, den 30. April 1787 bzw. Donnerstag, den 28. April 2005

 

Auf dem Wege nach Enna litt Goethes Reisegruppe unter schlechtem Wetter:

Noch größere Fruchtbarkeit und Menschenöde hatten wir heute zu bemerken. Regenwetter war eingefallen und machte den Reisezustand sehr unangenehm, da wir durch mehrere stark angeschwollene Gewässer hindurch mußten ...

 

Die Wege waren entsetzlich, noch schrecklicher, weil sie ehemals gepflastert gewesen, und es regnete immer fort. Das alte Enna empfing uns sehr unfreundlich: ein Estrichzimmer mit Läden ohne Fenster, so daß wir entweder im Dunkeln sitzen, oder den Sprühregen, dem wir soeben entgangen waren, wieder erdulden mußten. Einige Überreste unseres Reisevorrats wurden verzehrt, die Nacht kläglich zugebracht ...

Die Atmosphäre vor uns tief herab mit Wolken bedeckt, wobei sich ein wunderbar Phänomen in der größten Höhe sehen ließ. Es war weiß und grau gestreift und schien etwas Körperliches zu sein; aber wie käme das Körperliche in den Himmel! Unser Führer belehrte uns, diese unsere Verwunderung gelte einer Seite des Ätna, welche durch die zerrissenen Wolken durchsehe: Schnee und Bergrücken abwechselnd bildeten die Streifen, es sei nicht einmal der höchste Gipfel.

 

Unserer Gruppe auf dem Castello di Lombardia dagegen leuchteten die Schneereste des Ätna in einer milder Frühlingssonne entgegen.

 

Die gemischten Kieshügel dauern immer fort bis gegen Catania, bis an dieselben und über dieselben finden sich Lavaströme des Ätna.

 

Bevor unser Gruppe nach Catania kam besuchten wir noch die Villa Casale bei Piazza Armerina und Syrakus. Die Mosaiken in der römischen Villa Casale wurden erst 1929 entdeckt und nach dem Krieg vollständig ausgegraben.

 

Mosaiken in der Villa Casale: Die als Bikinimädchen bezeichneten römischen Sportlerinnen

Erotisches? Mosaik im Schlafzimmer

Wagenrennen im Kinderzimmer

 

Und dann war da noch unser Besuch in Syrakus: bei Damon, der mit finsteren Absichten zum Tyrannen Dionysios schlich (Achtung, die Ballade ist von Schiller und nicht von Goethe):

 

 

Das sogenannte Ohr des Dionysios im Steinbruch von Syrakus von innen und von außen

Der Steinbruch von Syrakus, in dem die Griechen als Sklaven arbeiten mussten

Die Quelle aus der Damon einst trank

Das Haus, in dem der Apostel Paulus weilte:
Wir kamen nach Syrakus und blieben drei Tage (Apg. 28;12)

Der Dom von Syrakus mit seinen dorischen Säulen

 

Taormina, Montag, den 7. Mai 1787 bzw. Samstag, den 30. April 2005

 

Gott sei Dank, daß alles, was wir heute gesehen, schon genugsam beschrieben ist, mehr aber noch, daß Kniep sich vorgenommen hat, morgen den ganzen Tag oben zu zeichnen. Wenn man die Höhe der Felsenwände erstiegen hat, welche unfern des Meeresstrandes in die Höhe steilen, findet man zwei Gipfel durch ein Halbrund verbunden. Was dies auch von Natur für eine Gestalt gehabt haben mag, die Kunst hat nachgeholfen und daraus den amphitheatralischen Halbzirkel für Zuschauer gebildet; Mauern und andere Angebäude von Ziegelsteinen, sich anschließend, supplierten die nötigen Gänge und Hallen. Am Fuße des stufenartigen Halbzirkels erbaute man die Szene quer vor, verband dadurch die beiden Felsen und vollendete das ungeheuerste Natur- und Kunstwerk. 

Setzt man sich nun dahin, wo ehmals die obersten Zuschauer saßen, so muß man gestehen, daß wohl nie ein Publikum im Theater solche Gegenstände vor sich gehabt. Rechts zur Seite auf höheren Felsen erheben sich Kastelle, weiter unten liegt die Stadt, und obschon diese Baulichkeiten aus neueren Zeiten sind, so standen doch vor alters wohl eben dergleichen auf derselben Stelle. Nun sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätna hin, links das Meerufer bis nach Catania, ja Syrakus; dann schließt der ungeheure, dampfende Feuerberg das weite, breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist.

 

Wir stiegen gegen das Theater hinab, verweilten in dessen Ruinen, an welchen ein geschickter Architekt seine Restaurationsgabe wenigstens auf dem Papier versuchen sollte, unternahmen sodann, uns durch die Gärten eine Bahn nach der Stadt zu brechen. In einem schlechten, verwahrlosten Bauergarten habe ich mich auf Orangenäste gesetzt und mich in Grillen vertieft. Orangenäste, worauf der Reisende sitzt, klingt etwas wunderbar, wird aber ganz natürlich, wenn man weiß, daß der Orangenbaum, seiner Natur überlassen, sich bald über der Wurzel in Zweige trennt, die mit der Zeit zu entschiedenen Ästen werden.

War ich nun durch die Gegenwart und Tätigkeit eines geschickten Künstlers (Kniep) und durch eigne, obgleich nur einzelne und schwächere Bemühungen gewiß, daß mir von den interessantesten Gegenden und ihren Teilen feste, wohlgewählte Bilder, im Umriß und nach Belieben auch ausgeführt, bleiben würden so gab ich um so mehr einem nach und nach auflebenden Drange nach: die gegenwärtige herrliche Umgebung, das Meer, die Inseln, die Häfen, durch poetische würdige Gestalten zu beleben und mir auf und aus diesem Lokal eine Komposition zu bilden, in einem Sinne und in einem Ton, wie ich sie noch nicht hervorgebracht. Die Klarheit des Himmels, der Hauch des Meeres, die Düfte, wodurch die Gebirge mit Himmel und Meer gleichsam in ein Element aufgelöst wurden, alles dies gab Nahrung meinen Vorsätzen (nach Motiven der Odyssee eine Tragödie Nausikaa zu schreiben) und indem ich in jenem schönen öffentlichen Garten zwischen blühenden Hecken von Oleander, durch Lauben von fruchttragenden Orangen- und Zitronenbäumen wandelte und zwischen andern Bäumen und Sträuchen, die mir unbekannt waren, verweilte, fühlte ich den fremden Einfluß auf das allerangenehmste.

 

Auf seinem weiteren Wege ritt Goethe am 10. Mai 1787 in ein zerstörtes Messina ein. Dort hatte ein verheerendes Erdbeben am Jahre 1785 nicht nur die Stadt weitgehend zerstört, sondern auch 12 000 Todesopfer gefordert. Unsere Reisegruppe nahm am 1. Mai 2005 in Catania das Flugzeug und war am gleichen Tage wieder in der Heimat.

 

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